Vierbergelauf in Kärnten
Eine Reise durch Zeit und Glauben in Kärnten
Ein spirituelles Abenteuer mit historischen Wurzeln
Der Vierbergelauf – eine seit dem 16. Jahrhundert dokumentierte Wallfahrt – verbindet Mystik, Natur und Geschichte im Herzen Kärntens. Jährlich pilgern Tausende am „Dreinagelfreitag“ (zweiter Freitag nach Ostern) über vier symbolträchtige Berge:
- Magdalensberg (Start mit Nachtmesse)
- Ulrichsberg
- Veitsberg
- Lorenziberg
Die 50+ Kilometer lange Strecke mit bis zu 2.500 Höhenmetern wird in nur 17 Stunden bewältigt – eine Herausforderung für Körper und Seele.
Historische Ursprungstheorien: Von Kelten bis Kreuzrittern
Die Herkunft des Brauchs gibt Historikern seit Jahrhunderten Rätsel auf:
- Kreuzzug-These (1879)
Franz Franzisci sah eine Verbindung zur Verehrung von Christi Leidenswerkzeugen. - Keltischer Sonnenkult (1912)
Georg Graber interpretierte den Lauf als Fortführung antiker Bergrituale. - Mittelalterliche Ablasswallfahrt (1927)
Ernst Klebel verortete den Ursprung im Dreinagelfeiertag von 1353. - Stammesbund-Hypothese (1948)
Rudolf Egger vermutete keltische Stammesversammlungen an vier Heiligtümern. - Slowenische Erdgöttin-Tradition (1952)
Josip Šašel verknüpfte den Brauch mit vorchristlichen Frühjahrsritualen.
Archäologie vs. Volksglaube: Die Kelten-Debatte
Während Isis-Noreia-Heiligtümer am Ulrichsberg und ein Mars-Latobius-Kultort am Magdalensberg archäologisch belegt sind, bleibt die Verbindung zu vier keltischen Stämmen spekulativ. Interessant:
- Latobiker und Noriker als mögliche Urheber
- Fehlende Funde am Veits-/Lorenziberg
- Trotz wissenschaftlicher Skepsis hält sich die Kelten-These im Volksbewusstsein – geprägt durch Schulbücher und Georg Grabers Einfluss als Landesschulinspektor.
Mittelalterliche Wurzeln: Politik, Pest und Pilgerströme
Die heutige Form entstand im Spätmittelalter durch ein Zusammenspiel von:
- Papst Innozenz VI. (Einführung des Dreinagelfestes 1353)
- Kaiser Friedrich III. (Förderung des Ablasswesens)
- Nürnberger Kaufleute (Verbreitung des Nagelkults)
- Türkenkriege und Heuschreckenplagen (Motivation für Bußwallfahrten)
Die vier Bergkirchen spiegeln diese Entwicklung:
Berg | Patron | Historischer Hintergrund |
---|---|---|
Magdalensberg | Hl. Helena | Kreuzreliquie aus Kreuzzugszeit |
Ulrichsberg | Hl. Ulrich | Schutzpatron gegen Ungarn-Einfälle (15. Jh.) |
Veitsberg | Hl. Veit | Bamberger Einfluss auf Kärnten |
Lorenziberg | Hl. Laurentius | Stadtpatron von St. Veit |
Vom Bußgang zum Massenphänomen: 700 Jahre Wandlung
- 1485–1510: Erste schriftliche Erwähnung als schweigende Frauenwallfahrt
- 16. Jh.: Protestantische Kritik („Götzenberg-Lauf“)
- 1787: Verbot unter Joseph II. – geheime Weiterführung
- 19. Jh.: Wiederbelebung mit neuem Fokus auf Volksfrömmigkeit
- 1945: Neubeginn mit nur fünf Teilnehmern
- Heute: Mix aus Spiritualität und Sport – Bus-Shuttles verkürzen die Route, während Kreuzträger-Gruppen die Tradition wahren
Lebendiges Kulturerbe
Der Vierbergelauf ist mehr als eine Wallfahrt – er ist ein wanderndes Geschichtsbuch, das heidnische Kulte, mittelalterliche Frömmigkeit und modernen Massentourismus vereint. Wer die vier Gipfel erklimmt, wandelt nicht nur durch atemberaubende Landschaften, sondern durch 500 Jahre europäische Religionsgeschichte.
„Wer die Berge sucht, findet sich selbst“ – dieses alte Kärntner Sprichwort gilt hier im doppelten Sinne.
Spiritueller Rhythmus: Gebete und Messen
Der Vierbergelauf umfasst fünf Messen und drei Andachten, die den Tagesverlauf strukturieren:
- Nächtliche Einstimmung: Rosenkranzgebet (23 Uhr) und Mitternachtsmesse auf dem Magdalensberg
- Frühmorgendliche Stationen: Messen in Pörtschach (4 Uhr), Karnberg (7 Uhr mit Bischof) und Zweikirchen (8 Uhr)
- Tagesablauf: Mittagsmesse in Liemberg (11 Uhr), Nachmittagsandachten in Gradenegg (13:45 Uhr) und Sörg (15 Uhr)
- Abschluss: Feierliche Schlussandacht am Lorenziberg (16:30 Uhr)
Traditionell werden 29 Rosenkränze während des Laufs gebetet. Allerdings verblassen historische Gebetsformen wie „Einschließgebete“ und Litaneien zunehmend, da das Wissen um ihre Texte kaum noch weitergegeben wird.
Wegverläufe: Pilgerpfade durch Geschichte und Landschaft
- Hauptroute (Magdalensberg → Lorenziberg):
Über Treffelsdorf, Ulrichsberg, Zweikirchen, Veitsberg und Sörg – insgesamt rund 50 km mit historischen Wegmarken wie Schlössern (Meiselberg, Liemberg), Kirchen (Möderndorf) und Ruinen (Burg Liemberg). - Alternative Gruppenrouten:
- Metnitztaler Gruppe: Startet in Pöckstein/Zwischenwässern über Maria Wolschart und Stift St. Georgen zum Magdalensberg.
- Sörger Gruppe: Rundweg von Sörg über Lorenziberg und St. Veit zurück zum Ausgangspunkt.
- Historische Anpassungen:
Frühere Routen führten über Burg Hardegg, Haidenwald und Wasai, während heute steile Abschnitte wie der Kulm-Anstieg genutzt werden. Orte wie Gradenegg werden nur noch von traditionellen Gruppen (Vorbeter, Kreuzträger) besucht, obwohl sie für die meisten Pilger nicht mehr zum Standardweg gehören.
Der Weg spiegelt damit nicht nur geografische, sondern auch kulturelle Wandlungen – von mittelalterlichen Flurumgängen bis zum modernen Pilgertrek.
Kräuterkundige könnten den Vierbergelauf nutzen, um seltene Pflanzen zu finden, ähnlich wie mittelalterliche „Kräutersammler“ oft spirituelle Routen mit botanischen Zielen verbanden.